Zombie Run Berlin
Sonntagmorgen in Berlin-Karlshorst: Es regnet in Strömen und Horden blutrünstiger Zombies jagen Läufer auf einer Trabrennbahn.
Was ich hier schildere ist nicht etwa meine Alkohol-Halluzinose als Resultat einer durchgemachten Partynacht. Was ich hier schildere ist mein erster Eindruck des Zombie Runs – dem neusten Hype aus den Staaten. Das Konzept zu diesem ungewöhnlichen, sportlichen Ereignis entstand in Anlehnung an die TV Serie The Walking Dead: Eine Mischung aus Hindernis- und Erlebnislauf, bei dem die Teilnehmer der Veranstaltung frei wählen können, ob sie Zombies oder Läufer sein möchten. Jeder Läufer hat drei Leben, welche symbolisch als Plastikstreifen an der Hose befestigt werden. Wer nicht schnell genug ist, riskiert seine Plastik-Leben an die Zombies zu verlieren. Ziel ist es natürlich, die fünfzehn Hindernisse des insgesamt fünf Kilometer langen Parcours zu bewältigen, ohne sich dabei die ‚Leben‘ von der Hose reißen zu lassen.
Klingt anstrengend? Ist es auch! Deshalb wollte ich dieses Ereignis aus einer vollkommen neuen, entspannten und vor allem trockenen Perspektive genießen: als Make-Up-Artist. In Berlin bin ich einer der netten Menschen gewesen, die den Teilnehmern zum perfekten Zombie-Look verholfen haben.
Zugegeben, ich habe nie eine Visagistenschule von innen gesehen. So gesehen hätten die zahlenden Teilnehmer vielleicht jemand Kompetenteren als mich verdient, um professionell geschminkt zu werden. Doch meine Lehrerin in der Malschule hat mir damals ein gewisses,kreatives Talent bestätigte und daher fühlte ich mich irgendwie prädestiniert für diesen Job. Wo sonst kommt man ungezwungener mit den Teilnehmern ins Gespräch als beim Schminken? Wem sonst erzählt man ganz offen, was zur Hölle einen eigentlich dazu bewegt hat, an so einer Veranstaltung teilzunehmen, wenn nicht der Visagistin seines Vertrauens??? Zuversichtlich, und mit meiner besten Freundin an meiner Seite, machte ich mich also auf den Weg, um neue Standards im Special-Effekt schminken zu setzen: Dersch/Schmidt die Profi-Make-Up-Artists. Wo auch immer Menschen auf der Welt geschminkt werden, sind diese Legenden der dekorativen Kosmetik nicht weit!
„Wie lange arbeiten sie bereits als Visagistin?“, fragte mich die erste Frau, die von mir in einen Zombie verwandelt werden wollte. „Naja…“, überlegte ich. „So 20 Minuten werden es schon sein.“ Die Frau guckte verdutzt. „Nein, nicht heute. Ich meine: Wie lange arbeiten sie generell schon als Visagistin?“ „Jaja, ich habe das schon richtig verstanden. Es sind jetzt knapp über 20 Minuten – meine Karriere ist noch ganz jung! Ich bin erst ein aufgehender Star am Special-Effekt-Make-Up-Himmel“, erklärte ich ihr. In ihrem Gesicht konnte ich sehen, dass sie das nicht ganz so komisch fand, wie ich.
Ich betrachtete meine Arbeit an ihr und allen Zweifeln zum Trotz: Ich hatte ein verdammtes Talent darin, Leute zu schminken! Sandra nickte anerkennend in meine Richtung. „Ich gebe zu, dass ich das hier heute Morgen noch für eine ganz, ganz blöde Idee hielt! Aber nun finde ich, wir machen unsere Sache richtig gut!“ Keine Frage, wir machten unsere Sache richtig gut – und wir wurden von Zombie zu Zombie souveräner. Da ich bemerkt hatte, dass das Vertrauen der Leute in meine Schminkkünste offensichtlich im direkten Zusammenhang mit meiner Berufserfahrung stand, wollte ich mein überzeugendes Auftreten nicht unnötig mit der Wahrheit über die Länge meiner Berufspraxis zerstören. Die Menschen fühlten sich im meinen Händen scheinbar viel wohler, wenn ich ihnen von den zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen erzählte, für die ich bereits geschminkt hatte. Vollprofi eben. Zumindest fühlte ich mich wie einer, als ich den Teilnehmern während der Stoßzeit mehrere Stunden im Akkord Zombie-Make-Ups verpasste und Anekdoten vom Schminken für Hochglanz-Magazine erzählte. Irgendwann brauchte ich nur noch 5 Minuten für ein Make-Up. So schnell bin ich für gewöhnlich nicht mal, wenn ich mir selbst ein dezentes Tages-Make-Up verpasse.“Ja, ich erinnere mich gerne zurück an die Zeit, als ich Sigourney für Alien herrichtete. Das Arbeiten mit ihr war toll! Sie ist ja auch so ein Vollprofi…“, schwärmte ich einem Mann vor, während Sandra ein Interview für eine Berliner Tageszeitung gab, und dem Reporter alles über den spannenden Arbeitsalltag einer Visagistin erzählte.
„Wie viel haben sie eigentlich für das Ticket hier bezahlt?“ wollte ich von einer Teilnehmerin wissen. „Naja, mit all den Bearbeitungsgebühren werden es am Ende wohl so um die 50.-€ gewesen sein“, antwortete sie mir. Ufff… Bei den Preisen, die zwischen 29.-€ und 49.-€ schwankten, bekam ich erneut ein schlechtes Gewissen, dass ich nicht ganz der Profi war, für den die Teilnehmer bezahlt hatten. Doch zumindest hatte sich noch niemand über mein Können beschwert und bisher schien mir jeder mit meiner Arbeit ganz zufrieden.
Die Teilnehmer waren ein bunter Mix der unterschiedlichsten Personen. Vom Bankangestellten über den Rettungswagenfahrer bis hin zum Key-Account-Manager eines bekannten Unternehmens nahmen sie alle auf meinem Schminkstühlchen. Ein junges Pärchen hatte die Karten für das Event zum Hochzeitstag von den Schwiegereltern geschenkt bekommen. „Wir sind große Zombie-Fans!“, gestand mir der Mann in der US-Uniform. Sandra verteilte seiner Angetrauten währenddessen großzügig braune Farbe im Gesicht. Doch ‚große Zombie-Fans‘ waren hier scheinbar die Wenigsten. Der Großteil der Teilnehmer schien auf Facebook von dem Zombiethin erfahren zu haben und hielt die Teilnahme für eine witzige Idee. „Es ist mal was anderes“, erklärte mir eine Gruppe Läufer, die mit dieser Begründung sehr repräsentativ für die anderen, von mir befragten, Teilnehmer steht.
Ob Läufer oder Zombie, alle hatten scheinbar großen Spass an der Veranstaltung und würden wieder teilnehmen. Ich übrigens auch! Ich hatte beim Schminken viele nette Menschen kennengelernt, die sich sehr freuten, dass ich ihnen zum perfekten Zombie-Look verhalf. Zwischendurch kehrte der ein oder andere von ihnen in die Maske zurück, um mir von ihren Abenteuern auf dem Spielfeld zu berichten. Ich hatte an diesem Tag gelernt, wie wenig Kunstblut es eigentlich bedarf, um Menschen eine große Freude zu bereiten.