Lebensphilosophie Goofy
Los, hebt die Hände hoch und lasst die Hände oben!
Bis unsere Eltern denken „was sind das’n für Idioten?“
Aber das is keine Phase, das is unser Lifestyle, unser Leben
Wie wir uns kleiden, geben und reden.– Kool Savas (‚Alle schieben Optik‘)
Wenn es um die Analyse meines Reifeprozesses geht, ist meine Mom ein ziemlich hartnäckiges Scheißerchen. Jeden Sonntag, da ist nämlich ‚Jessie-Mommy-Telefontag‘, stellt sie mir die selbe penetrante Frage: „Wann wirst du wohl endlich erwachsen, Kind?“ Nach 32Jahren, irgendwo zwischen Feierirrsinn und Berufsalltag, kulturellem Aktivismus und exzessiver Clubfreizeit, zwischen Glücksrausch und Totalbsturz, hat sich im Prinzip jeder damit arrangiert, dass es viel ‚erwachsener‘ bei mir wohl nicht wird. Ich weiss das, meine Freunde wissen das, meine Schwestern wissen das, nur bei meiner Mom is’s irgendwie noch immer nicht angekommen. Die Standardantwort auf die nervige Frage meiner Frau Mutter war ein lässiges: „Ich bin doch noch jung!“. Aber die Zeit spielte in dem Punkt leider nicht grade für mich, und irgendwann konterte sie mit: „Nee, biste eben nicht mehr!“ Na herzlichen dank auch!
Das war der Beginn einer Phase in meinem Leben, in der mich dieses ‚Erwachsen werden‘ tierisch unter Druck setzte. Neben meiner Mom, und diversen Männern die ihre Meinung teilten, hatte ich das Gefühl, dass auch der Rest der Gesellschaft so langsam anfing, gewisse Dinge von mir zu erwarten. Offensichtlich schien sich eine ’normale‘ weibliche Person, in meinem Alter (halloooo??!?! 30 ist das neue 20!), nach Beendigung ihres Langzeitstudiums anders zu verhalten als ich. Auch nicht grade hilfreich war das Bedürfnis meiner Freunde, zu heiraten und sich fortzupflanzen. Nichts gegen dieses Bedürfnis, aber meine Bedürfnisse waren nun mal Seifenblasen, Glitzerschminke und Vodka. Nach einem Besuch beim Frauenarzt, den ich ausgelacht hatte, weil er wissen wollte, wie viele Kinder ich hätte, und der mir daraufhin trocken entgegnete: „Dies ist keine ungewöhnliche Frage an eine Frau in ihrem Alter!“, setzte ich mich dann doch ihn, um mal über mein ‚Peter Pan Syndrom‘ nachzudenken.
Erwachsen werden. Was zur Hölle ist denn dieses blöde ‚erwachsen‘ eigentlich genau? Und wie kann ich das werden? Was an mir war denn bitte nicht erwachsen? Man ließ mich ins Casino und ich hatte keine Probleme, in den Vereinigten Staaten Alkohol zu kaufen. Lief doch alles top! Wie erwachsen soll’s denn noch werden???
Ich möchte die Antworten auf diese Fragen an dieser Stelle gerne zur Diskussion freigeben, denn ich kenne sie noch immer nicht. Vielleicht liegt da auch ‚kann nicht‘- in der ‚will nicht‘-Strasse. Alle Überlegungen endeten lediglich in einer Erkenntnis: Erwachsen werden scheint eine Einstellungssache zu sein – man muss es wollen. Diese Einstellung fehlte mir ganz offensichtlich, und die nötige Bereitschaft diese zu entwickeln war bei mir offensichtlich nur rudimentär ausgeprägt ist, bis gar nicht vorhanden.
Trotzdem war ich eine Zeit lang stets bemüht, Gefallen an diesem ‚erwachsenen Kram‘ zu finden. Doch das einzige, was mir daran wirklich gefiel, waren ‚Erwachsenen Filme‘. Dinge, die allgemein als ‚erwachsen‘ gelten, gelten bei mir allgemein als ‚langweilig‘. Ich kann nichts dafür! Ich kann mich doch nun auch zu nichts zwingen! Erwachsen werden übte auf mich eine ähnliche Anziehungskraft aus wie Harald Glööckler: Egal was andere Leute darüber sagen, auch Koks macht es nicht attraktiver!
Seitdem es die Krutschens gibt, habe ich aber grundsätzlich schon mal nix mehr gegen heiraten und Kinder kriegen. Wenn Familienleben so sein kann, wie bei meiner skatenden, BMX-fahrenden Kölner- Vorzeigelieblingsfamilie, dann finde ich das durchaus erstrebenswert! Wenn Eheleben bedeutet, auch mal gemeinsam auf einem Kendrick Lamar Konzert abzustürzen, dann will ich das auch! Gerne auch im verbindlichen ‚für immer‘-Tarif! Aber ich will ich eben bei all diesen Dingen ‚I did it my way‘ singen können!
Das gilt auch für den Job. Wer ernsthaft glaubt, Kleidung, Schuhe, Tattoos, etc. seien aussagekräftige Indikatoren zur Beurteilung der fachliche Kompetenz eines Menschen, der glaubt doch auch die Wettervorhersage der nächsten 10 Tage anhand meiner Intimpiericings erstellen zu können. Also ganz ehrlich, wer ist denn jetzt hier infantil? Oder hat ‚erwachsen sein‘ gar nichts mit intelligentem Denken und Handeln zu tun? Ich will sicher nicht auf die Kacke hauen, aber realistisch gesehen kann ich das nämlich sehr viel besser, als die meisten ‚Erwachsenen‘. Zudem hätte ich noch ein lustiges Potpourri an Lebenserfahrung zu bieten, doch die müssen Erwachsene offensichtlich auch nicht haben. Also was ist es dann? Bildung ist ja ganz sicher auch kein Kriterium des ‚erwachsen seins‘! Im direkten Vergleich mit einem dieser erwachsenen Menschen, ist meine Allgemeinbildung ein absolutes Träumchen. Außerdem kann ich selbst im Vollsuff, unter völliger Abwesenheit meiner geistigen Kräfte, über die anspruchsvollsten Themen diskutieren. Nur weil die Thesen meiner Examensarbeit unter Jägermeistereinfluss an der A.R.M.-Theke entstanden sind, sind sie nicht weniger gut. Wäre diese Welt gerecht, dann dürfte “ trotz 3 Promille noch Verhandlungssicher“ im Lebenslauf unter ‚Zusatzqualifikation‘ genannt werden!!!
Doch so sehr ich das ‚erwachsen sein‘ auch übte, es wollte nicht so richtig klappen. Wenn mir die Lösung fehlt, scheint mir Flucht oft das einzig richtige Mittel zur Problembewältigung. Die Stadt, oder das Land, fluchtartig zu verlassen ist nicht das verkehrteste. So kommt man wenigstens ein bisschen rum, und sieht was von der Welt. Von der Kleinstadt nach Berlin zu ziehen hielt ich in meinem Fall für eine geniale Idee. Hier gibt es noch Skater in meinem Alter, ich bin ich nicht mehr die Älteste im Club, und rund im die Warschauer Brücke ist niemals die falsche Tages- oder Jahreszeit um ein rosa Hasenkostüm zu tragen. Becks scheint als isotonisches Erfrischungsgetränk bereits vor dem Frühstück gesellschaftlich akzeptiert, und so dachte ich: Hier bin ich Lebenskünstler, hier darf ich sein. Ganz so ‚open minded‘ wie ich dachte ist Berlin aber dann doch nicht, denn in die Schubladen ordnen die Menschen auch hier gerne ein. Allerdings interessieren sich die Menschen wegen dem Großstadtstress gewöhnlich nicht für ihre Mitmenschen. Alle sind schwer damit beschäftigt sind, die sozialen Missstände hier zu ignorieren, und während sie darauf achten, nicht über die Obdachlosen auf der Straße zu stolpern, achtet hier keiner groß auf mich. Ohnehin bin ich hier nicht die einzig Ziellose mit ‚Peter-Pan’Syndrom. Da gibt es ganz andere Patienten in fortgeschrittenerem Stadium! Doch ein paar Extremfälle in meiner Umgebung scheinen für meine Entwicklung jedoch ganz heilsam zu sein. Ist ja auch wichtig zu sehen, wie man auf keinen Fall enden will.
Trotzdem werden sich meine Interessen auch in den kommenden 32 Jahren nicht grundsätzlich ändern. Seifenblasen sind ein zeitloser Klassiker, Glitzerschminke hält im faltigen Gesichtchen eh besser, und ich freue mich schon jetzt wie Bolle auf den zuzahlungbefreiten Mischkonsums auf Rezept. Ich werde den Zivildienstleistenden in meinem Altersheim freundlich bitten, meine Air Max schön zu putzen, sobald er das Marihuana gegen meinen grünen Star besorgt hat. Ich werde einen ‚Skateboarding is not a crime‘ – Sticker auf meine Rollator kleben, und das Hörgerät abschalten, um nicht zu mitzubekommen, wenn sich das Personal über die laute Musik beschwert. Dafür werde mir aber die Beschwerden meine Kinder über ihre Kinder umso genauer anhören, und mich innerlich freuen, dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt.
Ja, ich denke, ‚erwachsen werden‘ kann man auf viele Arten, und meine ist offensichtlich eher ‚goofy‘ als ‚regular‘. Seit kurzem ist das auch irgendwie okay für mich. Was nützte es auch das Leben allzu ernst zu nehmen? Es endet ja doch mit dem Tod! Auf meinem Grabstein soll übrigens stehen: Guck’nicht so traurig! Ich würde jetzt auch lieber mit dir am Strand liegen!
Ich hab’das jetzt 32 Jahre so durchgezogen, und schaffe es sehr wahrscheinlich noch mal solange. Was für Komet Bernhard funktioniert, wird bei mir schon nicht schief gehen. Und falls doch, hatte ich zumindest bis dahin eine verdammt gut Zeit. Erwachsen sein hat nämlich auch unglaublich viele Nachteile: Man darf nicht auf Hüpfburgen, wird nicht mehr ins IKEA-Bälle-Land gelassen, und die Mitgliedschaft im Barbie-Fanclub wird einem noch vor dem 16.Lebensjahr gekündigt. Über die verständnislosen Blicke der Mitmenschen, während man mit dem Bobbycar durch’s MC Drive fährt, wollen wir jetzt gar nicht erst reden. Is’doch nicht schön so was!
Wenn ihr also das nächste Mal einem Bankmanager begegnet, der zum Beratungsgespräch noch immer sein ‚Fusion‘-Bändchen trägt, und das nicht ganz eurem Bild eines professionellen Erwachsenen entspricht, denkt dran: Erwachsen sein wird vielleicht völlig überbewertet, und er wird es vermutlich trotzdem voll drauf haben!