Dating 2.0

chatten_shutterstock_71935402_konrad-bakWie das bei mir oft so ist, wenn etwas verboten, gesellschaftlich verachtet oder von der Mehrheit abgelehnt und gemieden wird, hat diese Debatte um Kontaktbörsen, und wie diese auf Kosten einsamer Herzen einen haufen Cashmash machen, mein Interesse an Singlebörsen geweckt. Singlebörsen waren für mich bisher das Auffangbecken für schwer vermittelbarer Versager, die unfähig sind sich im wahren Leben was klar zu machen, oder irgendwie sonst zum Stich zu kommen. … Dank einer realistischen Selbsteinschätzung wurde mir bei meinen Überlegungen allerdings ziemlich schnell klar, dass ich mich nach meiner Definition irgendwie selbst zu dieser Gruppe von Losern zählen durfte. Das war sicher nicht immer so, aber seit meinem Umzug nach Berlin, hatte wohl selbst ein katholische Pfarrer ein aktiveres Sexualleben als ich. So kam es dann, dass diese harte Erkenntnis meinen Stolz eines Abends frühzeitig ins Bett schickte, um mich bei einer dieser Fickebörsen zu registrieren.

Nach der Anmeldung fühlte ich mich irgendwie dreckig und mies. Ich hatte das Bedürfnis, mit jemandem über meinen sozialen Abstieg in die Beziehungs-Nieten-Klasse zu reden. Also rief ich meinen Kumpel Marcus an: “ Du… ich habe etwas völlig oberkrass Peinliches gemacht!“, fing ich an zu gestehen. „Wenn du jetzt lachst oder es jemals wem erzählst, werde ich dich verprügeln!“ Drohte ich ihm, in der Überzeugung dieses Detail aus meinem Privatleben wirklich auch für mich behalten zu können. Marcus war auf einiges gefasst und dann fast ein bisschen enttäuscht als er erfuhr, dass ich mich lediglich bei einer Partnerbörse angemeldet hatte – zudem nur eine stinknormale, und nicht wenigstens was Pornöses. Er selbst sei auch auf so einer Seite, beruhigte er mich. Waaaaaaas??? Sollte ich etwa die Einzige sein, die kein schmierigies Cyberdoppelleben führte??? Hatte vielleicht jeder so einen Account, nur redete man nicht öffentlich darüber??? Etwas beruhigt durch die Gewissheit, dass meine Freunde mich durch meine Handlung vermutlich nicht verstoßen werden, widmete ich mich also der Erstellung Profil. Name? Hmmm… ich dachte kurz darüber nach es mit der nötigen Professionalität anzugehen und mich ‚HotnSexy666‘ zu nennen, entschied mich dann aber doch nur für Jessica Schmidt.

Jedem, der dringend einen schnellen Egoboost braucht, kann ich die Anmeldung auf so einer Seite wärmstens empfehlen. Es dauerte keine Stunde, und mein Mailaccount war zugespamter als nach meinem Auszug aus dem Bigbrother Haus. Ganz offensichtlich war ich in dieser Welt eine geile Alte – und dabei habe ich auf meinem Profilbild nicht mal Titten gezeigt. Hunderte Männer schrieben mir die krassesten, und billigsten Komplimente, die ich bis dahin in meinem Leben gehört hatte. Aber sind wir mal ehrlich: Ein Typ, der bei einer Tussi landen will, schreibt ihr vermutlich ja auch nicht: „Hey, irgendwie ist hier auf der Seite grade nix los, und ich dachte mir, da versuche ich halt bei dir mein Glück. Besser als nix und du siehst immer noch besser aus, als die Dicke mit dem Duckface und den Hängebrüsten. Also, was meinste?“ Mir war schon klar, dass im Land der Blinden selbst der Einäugige im Vergleich ein Adlerauge war. Dementsprechend war dann allerdings auch das Angebot der Herren. Der Singlemarkt steckt in einer noch tieferen Krise als die Weltwirtschaft! Ist echt so! Da ich mir aber seit geraumer Zeit vermehrt anhören muss, dass meine Ansprüche zu hoch wären, wollte ich jetzt nicht gleich die Flinte ins Korn werfen. Ich setze mir das Ziel, mir wenigstens drei dieser Romeos näher anzugucken. Doch selbst das war leichter gesagt als getan, denn von allen Männern war grade mal einer dabei, der tatsächlich klar ging. Letzend Endes rang ich mich dazu durch, Mo, Andi, und Choco ins re-call zu lassen. Man kann ja nur mit dem Arbeiten, was man hat.

Ja. Wo fange ich an??? … Andi… also … ich muss fairer Weise sagen, dass ich wirklich kein Freund von smalltalk und Scheiße labern bin. Langweilige Geschichten langweilen mich schnell, weil sie eben langweilig sind. Zudem riskieren Männer, die mich ‚Baby‘ nennen ohne mich zu kennen, in Zukunft ohne ihre Schneidezähne auskommen zu müssen. Zugunsten eine gewaltfreien Kommunikation habe ich Andi also schon sehr bald ein schönes Leben gewünscht.

Mo’s Anfrage wollte ich ursprünglich ungelesen löschen. Männer, die Profilbilder mit freiem Oberkörper haben, sind mir suspekt. Wie wollte er überhaupt Zeit für mich finden, ohne dabei das Fitness-Studio zu verlassen??? Seine Mail war allerdings dann doch überraschend komisch, und brachte inhaltlich alles auf den Punkt, was ich in der letzten Stunde seit meiner Anmeldung erlebt hatte. Humor finde ich bei Männern noch wichtiger als schöne Schuhe, daher war ich bereit zur Not all meine Vorurteile gegen Stiernacken abzulegen. Mo war Türsteher. Quelle surprise! Wäre hätte das bei seinen Bildern gedacht? Er fragte mich, weshalb eine so schöne und witzige Frau noch immer Single ist. Ja, das frage ich mich auch oft. Ich teilte ihm meine Vermutung mit, dass Männer mich vielleicht tatsächlich sehr ansprechend finden – bis ich den Mund aufmache. Ihm schien meine vorlaute Art allerdings sehr zu gefallen, und er verreit mir, dass er mich außerdem für sehr ‚intelegent‘ hielt. … ja. … für ‚intelegent‘ hielt ich ihn auch, und deshalb habe ich dann auch diesen Kontakt abgebrochen. Ich wollte ihn lieber als den Mann in Erinnerung behalten, der er für mich in dem kurzen Moment nach seiner erstem Mail war.Trotz meines Lehramtsstudiums möchte ich mit meinem Gegenüber nicht reden müssen, als besucht er noch immer die Malschule. Intelligenz macht in meinen Augen wirklich sexy, und jeder Mann sollte mindestens ein Buch haben, dass nicht zum Ausmalen gedacht ist. (Und nein liebe Männer, Bücher die ihr zum Stabilisieren von wackelnden Tischen verwendet zählen ebenso wenig wie der Playboy!)

Ein kleines Highlight war Choco. Auf seinem Profilbild trug er die selbe Carhartt-Jacke, wie ich sie ebenfalls besaß. Eine Basis, auf der ich aufbauen konnte. Im wahren Leben heißt er auch nicht Choco, sondern Steve – ein weiterer Pluspunkt. Seine Mom hatte ihn nach ‚Steve‘ McQueen benannt, was mir sehr gefiel. Überhaupt gefiehlen mir Eltern sehr, deren Kreativität bei der Namensgebung mehr her gab, um auf etwas derart originelles zu kommen wie ‚Jessica Schmidt‘. Ich vermutete außerdem, dass er durch die Herkunft seines Namens sicherlich Verständnis  dafür haben würde, dass ich unser Kind Anakin Skywalker nennen würde. Und Bingo: Das war okay für ihn! Einen weiterer Sympathiepunkt zu seinen Gunsten. Steve beeindruckte zudem mit einem ungeheuren Musikwissen, was mich seine miserablen Rechtschreibung fast vollkommen vergessen ließ. ‚Auch Menschen mit Rechtschreibschwäche führen glückliche Beziehungen‘, dachte ich mir. Im Laufe unserer Unterhaltung kam dann allerdings noch heraus, dass er gar kein Legastheniker sondern Franzose war.

Mir schien jedenfalls, als hätte ich mit Steve die Nadel im Heuhaufen gefunden, und deshalb löschte ich mein Profil auf der Single- Seite noch am gleichen Abend. Mein Fazit: Kann man sich mal angucken. Vor allem, wenn man eh grade nichts besseres zu tun hat. Wer sein Ego aufbauen möchte, bekommt hier auf jeden Fall die Möglichkeit dazu. Mir wurde dadurch allerdings auch wieder bewusst, weshalb ich auf Partys eigentlich immer so böse gucke, dass sich niemand trauen würde mich anzusprechen, der nicht auf Schläge aus ist. Ich nehme lieber in Kauf, für arrogant gehalten zu werden und dafür meine Ruhe zu haben, als mir den ganzen Abend irgendwelchen Scheiß von irgendwelchen Spackos anzuhören! Im Prinzip ist dieses Verhalten ja fast eine Art natürliche Auslese. Wer meiner Schandschnauze gewachsen ist, wird sich nicht abschrecken lassen. Wer wirklich Interesse hat, wird sich bemühen. Oder um es mal mit den Worten von LL Cool J zu sagen: „If his love is real he’s got to handle competition“.

Steve gibt es jetzt zwar auch in meinem real life, aber er wird sehr wahrscheinlich nicht der Vater von Anakin Skywalker. Ich habe nunmal eine sehr spezielle Vorstellung von einem Mann, mit dem ich mir eine Beziehung vorstellen könnte, und auch nach dieser Aktion nicht vor, diese noch mal zu überdenken. Ich vermute, was man im wahren Leben nicht findet, findet man auch in keiner Partnerbörse. Da bin ich eben schnücksch! Und nur weil der NIKE nicht erhältlich ist, trage ich doch deshalb nicht gleich Shamp-Schuhe! Also bitte…

Werbung