Über die Ohnmacht von Fakten

Foto: James Sutton ( unsplash.com )
„Es heißt ja, wir lebten neuerdings in postfaktischen Zeiten. Das soll wohl heißen, die Menschen interessieren sich nicht mehr für Fakten, sondern folgen ihren Gefühlen.“ Kanzlerin Angela Merkel war eine der ersten, die das Wort benutzte. Das war im September 2016. Zu diesem Zeitpunkt wusste kaum jemand, was dieses Wort bedeutet. Wenig später wurde es von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Wort des Jahres 2016 gekürt.
Postfaktisch nennt man einen gesellschaftlichen Zustand, in dem die Fakten keine Rolle mehr spielen – nicht nur bei politischen Auseinandersetzungen. Scheinbar beharren zunehmend mehr Menschen darauf, dass ihre gefühlte Wahrheit der Realität mehr entspricht als bereits bestätigte Fakten. Tatsächlich ist dieses menschliche Verhalten jedoch kein neues Phänomen, sondern ein steinzeitlicher Instinkt. Kognitionsforscher haben herausgefunden, dass Daten, Zahlen und Fakten nur sehr beschränkt in der Lage sind eine bereits bestehende Meinung zu verändern. Nicht, weil wir als Menschen besonders dumm oder stur wären, sondern weil unser Gehirn nicht in der Lage ist, Informationen wirklich objektiv auszuwerten. Wir setzten neue Informationen automatisch in den Kontext dessen, was wir glauben zu wissen. Zudem lassen wir unterbewusst unsere Ängste, Hoffnungen und Wünsche in unsere Bewertung mit einfließen. Dies ist der Grund, weshalb selbst wissenschaftliche Beweise an unseren Überzeugungen nicht rütteln, wenn sie sich ‚falsch anfühlen‘.
Aus evolutionsbiologischen Gründen tendieren wir in der Regel dazu, alle Fakten bereitwillig zu akzeptieren, solange sie unserem Weltbild entsprechen. Widersprüchliche Meinungen bewerten wir dagegen kritisch. Versucht jemand, unsere Meinung mit Argumenten zu ändern, fühlen wir uns sofort angegriffen und gehen in Verteidigung. Wir liefern Gegenargumente, die den anderen Standpunkt entkräftet und suchen gleichzeitig nach Bestätigung um unsere eigene Ansicht aufrechtzuerhalten oder zu bestärken. Paradoxerweise findet unser Verstand immer Argumente, um unsere Ansichten zu bestätigen. Selbst das Internet ist keine Hilfe, denn google hat für jede Meinung Treffer parat, die uns bestätigen und in unserer ‚Bubble‘ sind wir umgeben von Leuten mit denen wir ein Weltbild teilen. Nach Daten zu suchen und diese auf eine Weise zu interpretieren die die eigene Meinung stärken, wird in der Psychologie ‚Bestätigungsfehler‘ genannt. Intelligente Menschen, ohne Bewusstsein für dieses Art der Befangenheit, neigen sogar vermehrt zu Bestätigungsfehlern. Je höher die kognitiven Fähigkeiten, desto ausgeprägter ist auch die Fähigkeit, Informationen nach belieben zu interpretieren und so auszulegen oder zu drehen, wie man es eben braucht.
Was können wir aus diesen Erkenntnissen lernen?
Glaubenssätze, Überzeugungen und Meinung, die an Emotionen gekoppelt ist, sind nicht verhandelbar. Zu versuchen, diese mit Hilfe von Zahlen, Daten und Fakten zu ändern macht deshalb keinen Sinn.
Das bedeute aber nicht, dass sich bei Meinungsverschiedenheiten keine Einigung finden lässt. Aktives Zuhören und Nachfragen wie: „Habe ich dich richtig verstanden, du findest dass…“, helfen den Standpunkt des Gegenüber zu verstehen und zu erkennen, worum es inhaltlich geht. Denn Standpunkt des Kommunikationspartner zu kennen ist für eine Einigung wichtig, denn im Gegensatz zu Überzeugungen und Glaubenssätzen sind Standpunkte verhandelbar.
Unsere Glaubenssätze und Überzeugungen bilden unsere Meinung, wenn wir diese nicht einfach von unseren Mitmenschen übernommen haben. Unsere Meinung führt uns zu einem Standpunkt. Veranschaulichung wir den Unterschied zwischen Standpunkt und Meinung an einem Beispiel aus der Politik: Die AfD ist eine Partei, die bewusst die Überzeugungen und Glaubenssätze ihrer Mitglieder bestätigt. Durch diese Form des emotionalen Abholens entsteht eine Wähler-Bindung, welche die Machtposition der AfD stärkt. Versucht man einen potentiellen AfD-Wähler mit Zahlen und Fakten zu bekehren, wird man statt Umdenken sehr wahrscheinlich reaktanzes Verhalten auslösen. Als Reaktanz bezeichnet man den Widerstand, den ein Menschen äußert, wenn man seinen freien Willen einschränkt – eine Form von Trotz. Die bedrohte und eingeschränkte Meinungsfreiheit wird dadurch wiederhergestellt, dass genau das getan wird, was nicht getan werden soll – nämlich AfD wählen. Getreu nach dem Motto: Jetzt erst recht! Dabei ist die AfD gar nicht das eigentliche Problem – sie ist nur der aktuelle Standpunkt der Person und somit verhandelbar. Überzeugungen und Glaubenssätze haben einen zu dem „Standpunkt AfD“ gebracht. Würde man aber durch aktives Zuhören und Fragen herausfinden, worum es der Person inhaltlich geht, könnte man eventuell alternative Standpunkte anbieten. Findet man zum Beispiel in einem Gespräch heraus, dass es der Person um die Angst vor Armut im Alter geht, hätte man vielleicht eine Gemeinsamkeit gefunden und könnte ich andere Parteien mit besseren Konzepten zu diesem Thema anbieten. Oder findet man in einem Gespräch heraus, dass diese Wahl eigentlich nur eine Trotzreaktion gegen ‚die da oben‘ ist, könnte man sie vielleicht dafür begeistern ‚gegen die da oben‘ unter Sonneborn zu pöbeln. Der Standpunkt lässt sich also wechseln ohne Glaubenssätze, Überzeugungen und Meinungen aufgeben zu müssen – der Standpunkt bietet Raum für Veränderung.
Doch auch fernab des politischen Kontext ist es ratsam, sich auf der Suche nach Einigung oder Kompromissen auf die Gemeinsamkeiten zu konzentrieren statt Energien in die Ausarbeitung der Unterschiede zu verschwenden, denn letzteres würde nur weiter entzweien. Fakt ist doch: Am Ende des Tages fühlt sich Harmonie besser an als Streit. Darin dürften wir uns einig sein.
Quellen:
Amy Hollyfield „For true disbelievers, the facts are not enough“
Diana I.Tamir/Jason P.Mitchell „Disclosing Information About the Self is Intrinsically Rewarding“
Christian-Rainer Weisbach/Petra Sonne-Neubacher „Professionelle Gesprächsführung“ 9.Aufl.
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