„Hast du was gegen meine Mutter gesagt???“

Foto: „Ratte“ von Christiane Eisler
„… ey, weisst du? Du kannst mir meinen Schwanz lutschen! … du alte SPD Wählerin!“, beendete der Typ mit der jugendlichen Problemhaut seinen Monolog. „Heißen die SPD? Neee… heißen die nüsch‘ … NPD heißen die doch??? … diese, diese… du weisst schon… SPD oder NPD oder wie jetzt???“, fingen seine Kumpels an zu diskutieren. „Angesichts soviel Dummheit ist jedenfalls nicht die SPD schuld, dass ich nicht in Stimmung für Oralsex bin. Ihr seid die Evel Knievel der Politikwissenschaften, oder was?“ fragte ich und musste lachen.
Eigentlich wollte ich doch nur schnell eine Freundin zu Bahn bringen, als ich auf die Kreuzberger Ausgabe der Daltons traf. Die Nachwuchsgangster hatte die geniale Idee, sich unbedingt neben mich setzten zu wollen – obwohl jeder beschissene Sitzplatz in diesem scheiß U-Bahnhof frei war. Menschen, die wie ich mit einer extrem niedrigen Geduldsgrenze geboren wurden, wissen das man sich in solchen Situationen vom Leben verarscht fühlt! Zu meiner großen Freude fingen sie auch gleich mit der Kontaktaufnahme an. ‚Ignorieren. Einfach ignorieren. Du kannst das! Ommmmm…‘, versuchte mich meine innere Stimme zu beruhigen. Ich bin eigentlich echt ein friedliches Ding, aber grade wollte ich denen nur ganz Namaste-mäßig eine reinhauen. Ich weiss, so was sollte man nie öffentlich zugeben, um sich das ‚Gewalt ist keine Lösung‘-Geschwafel seiner Mitmenschen zu ersparen. Trotzdem bin ich der Überzeugung, dass Schläge oft mehr sagt als tausend Worte. Aber entgegen meiner Erfahrung versuchte ich es mit der ‚reden‘-Variante: „Mache ich den Eindruck als hätte ich Bock mit euch zu reden? Wenn das so ausgesehen haben soll, tut’s mir leid! Is’nämlich nich’so!“ Doch nun wollten sie erst recht reden. Alle. Auf einmal. „Okay, okay. Jungs. Stopp!“ unterbrach ich sie, während ich mich über mich selbst ärgerte, dass ich nicht doch gleich die Gewalt-Variante gewählt hatte. „Hört bitte auf mich vollzuquatschen! Ihr seid vermutlich zu besoffen um es zu bemerken, aber ich bin alt! Sehr alt! Ich könnte locker eure Mutti sein! So was wollt ihr doch nicht abbaggern?!“ Ich fand’ich hatte das grade irre freundlich rübergebracht… Sie fanden das allerdings nicht und wollten wissen, weshalb ich nicht mit ihnen reden wollte. ‚Weil ihr Spastis seid‘, habe ich gedacht, aber gesagt habe ich: „Ich bin echt kein Freund von Menschen. Und außerdem unterhalte ich mich nicht gern! Liegt nicht an euch…“ Total diplomatisch, und total uneffektiv. Hat die nicht eine Minute davon abgehalten, mich weiter dumm von der Seite anzuquatschen! „Jungs, was muss ich noch tun damit meine Nachricht ankommt? Würden Handpuppen helfen? Ein kleines Schattenspiel? Soll ich meine Botschaft tanzen??? Ich bin KEEEEIN Menschenfreund! Ich will eure Namen nicht wissen, und ich will euch meinen nicht sagen!!! Ihr seid unlustig und dumm, und ich will einfach nur das ihr euch verpisst!!!“ Ups, verpisst hatte sich zumindest schonmal meine Diplomatie.
Ich mag keine Menschen, aber Wohlfühlbereiche, die mag ich sehr! Leider verhalte ich mich oft unberechenbar, wenn jemand meine Grenzen überschreitet. Schläge sind da weniger Vorsatz, als vielmehr Affekt. Da der Kleine in seinem jugendlichen Leichtsinn jetzt auch noch ständig näher kam, fragte ich mich, ob es wohl als Notwehr durchgehen würde, wenn ich ihn jetzt mit bloßen Händen erwürgte…
Meine Geduld ist nunmal ein sehr zartes Pflänzchen, und wenn ich etwas wirklich nicht leiden kann, dann von fremden Menschen angepackt zu werden! Sehr viel weniger freundlich teilte ich Getto-Casanova daher mit, dass wenn er mich noch mal anpackt, ich ihm das Nasenbein brechen würde. Eine Warnung, die er von einer Frau offensichtlich nicht oft hörte, und so saß ich nun da und musste mir anhören, dass ich ruhig zu sein hätte wenn er spricht, und mich als ‚alte SPD-Wählerin‘ beschimpfen lassen. Ob die SPD wusste, das sie das Zeug dazu hatte, es auf der Liste der coolsten Schimpfwörter nach ganz vorne zu schaffen? Hurensöhne, Opfer oder Bastarde wären Geschichte. Bald würde Bushido über SPD-Wähler rappen, die er solange in den Arsch fickt, bis sie wissen wer der Babo ist. Der Gedanke gefiel mir, und irgendwie hatte das alles ja auch ganz viel Situationskomik. Trotzdem dankte ich dem Herren für meine Weisheit, nicht Lehrerin geworden zu sein. Eine Klasse mit 20 solcher Kloppis steigert nicht grade die Lebensfreude.
‚Say it, don’t spray it‘, dachte ich mir, wartete aber ruhig, bis er seinen feuchten Vortrag beendet hatte. Dann bedankte ich mich für das top Angebot, seinen Puller lutschen zu dürfen, stellte aber klar, dass mein Mund vermutlich selbst dann nicht in die Nähe seines Pimmels kommen würde, wenn er das letzte Essbare auf diesem Planeten wäre. Zugegeben, kein Mann mag doofe Sprüche über seinen Puller, von daher hätte ich wissen müssen, dass er jetzt erst richtig loslegen würde.
So langsam wurde mir die ganze Nummer aber einfach zu dumm. Hätte ich Bock auf so was gehabt, dann wäre ich Lehrerin geworden, oder Streetworkerin, oder Thekentante auf einer Muschi-Kreuzberg-Party… Ich gebe zu, dass ich gelegentlich eine Art habe, die nicht unbedingt zur Deeskalation beiträgt. „Alter, so kannst du vielleicht mit deiner Muddi reden. Aber jetzt halt die Fresse, nimm deine Freund und verpiss dich! Du Penner!“, blaffte ich ihn an. „Hast du was gegen meine Mutter gesagt??“, drehte er jetzt völlig ab. „Niemand sagt etwas gegen meine Mutter!“, schrie er, während er sich die Jacke auszog. Mit schiefem Kopf guckte ich ihn an und überlegte… Was macht man denn jetzt in so einer Situation mit so’nem kleinen Prolo-Yolo-Jungen??? Klar, es wäre nicht das Verkehrtest ihm jetzt so richtig eine zu langen. Jemand, der sich so in der Öffentlichkeit aufführt, hatte in seinem Leben vermutlich sowieso viel zu wenig Schläge bekommen. Doch wenn ich dabei das letzte bisschen graue Masse verletzen würde, was er sich noch nicht weggesoffen hatte??? Der Typ war doch bereits das totale Opfer… und so richtig auf mich los gehen wollte die kleine Großfresse wohl doch nicht auf mich. Unentschlossen guckte ich zu seinen Kumpels. Ein paar Mädels im Alter meiner kleinen Schwester waren auch dabei. Alle guckten mich an.
Ich holte tief Luft und begann: „Also…“, den Blick in die Richtung der Mädels gewandt. „… ich fang’mal mit den Damen an. Ich kann echt nicht verstehen, weshalb ihr mit solchen Assis durch die Gegend zieht! Ich werde seinen Schwanz nicht lutschen, und von euch sollte das auch keiner tun! Überhaupt wäre es wichtig, dass Erbgut wie seins ausstirbt! Habt ihr das verstanden? Was auch immer passiert: Er darf sich niemals fortpflanzen!!! Okay?!“ Keine Reaktion. Egal, manchmal dauert es ja eine Weile bis die Information vom Hirn verarbeitet wird, weshalb ich schonmal mit den Jungs weitermachte: „Was genau is’euer Problem? Ich soll Respekt haben? Ihr benehmt euch aber selbst nicht unbedingt, als wäre euch Respekt wichtig! … und ob ihr das Wort schreiben könnt frage ich jetzt besser nicht…“
Noch immer saß ich ganz ruhig auf meiner Bank, der Terror-Kindergarten vor mir. Mein Besuch saß verlegen neben mir, nicht das er ähnliche Szene von mir nicht schon gewohnt war, doch mittlerweile hatte ich die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Anwesenden der U-Banhstation.
„So, und jetzt zu dir Hase:“ fuhr ich fort. „Du willst dich also mit mir schlagen? Sehe ich das richtig? Das können wir von mir aus nämlich machen. Aber wenn ich das tun muss, dann schlage ich dich nicht wie ein Mädchen!“ Es war mir wichtig das im Vorfeld zu klären, denn meine Mama hat früher immer gesagt, dass ich Schlägerrein nicht anfangen, aber mich ruhig wehren darf. Sollte hinterher keiner behaupten, ich hätte ihn nicht gewarnt. „Deine Mom wird dich jedenfalls danach die Tage erstmal nicht wieder erkennen – ganz egal, was ich über sie gesagt haben soll! Deinen Freunden musst du erzählen, dass du die Prügel von einem Mädchen kassiert hast! Das hier wird noch viel peinlicher für dich enden, als es jetzt schon ist!“
Ein Kumpel kam plötzlich hinter Akne-Rambo hervor. „Ich möchte mich für ihn entschuldigen! Tut mir echt leid, dass sie so’n Stress hatten!“ … Das kam überraschend! …wow. So was weckt dann doch die Pädagogin in mir, und ich bedankte mich bei dem jungen Mann für die Entschuldigung und sein reifes Verhalten. Das Pickelchen stand allerdings noch immer wortlos vor mir. „Komm jetzt Alter… Is’okay“, meinten seine Freunde als die Bahn einfuhr. „Ey Mann“, begann er. „“s tut mir auch echt leid und so… aber niemand sagt was gegen meine Mutter. Das is’doch Familie un’so…“ Irgendwie konnte ich das total nachvollziehen. „Schon okay“, entgegnete ich ihm (immer noch nicht ganz sicher, was ich eigentlich gegen seine Mutter gesagt habe). Die Türen der Bahn öffneten sich, und während er einstieg guckte er nochmal über die Schulter zurück und meinte: „Sie sind’ne krasse Frau, wissen sie das?“ Ja, das hörte ich gelegentlich und war mir jedes Mal unsicher, ob das was Gutes oder Schlechtes ist…
Zu Hause angekommen hatte ich eine Mail im Postfach, in der mir das Thema meines nächsten NLP-Seminars mitgeteilt wurde: Konfliktmanagement. Vielleicht sollte ich mich damit wirklich noch mal näher auseinander setzen.